Unbestritten ist, dass ein guter Herdenschutz die wirksamste Maßnahme für ein konfliktarmes Nebeneinander von Weidetierhaltung und Wolf ist. So sahen es auch die Teilnehmenden am Dialogforum Weidetierhaltung und Wolf. Allerdings wurde das bisherige Verfahren der Herdenschutzförderung von vielen Tierhaltenden als zu bürokratisch und langwierig empfunden. Diesen Kritikpunkt hat das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zum Anlass genommen, das Verfahren für die Herdenschutzhilfe zu überarbeiten. In der Planung steht die Umstellung auf Zahlung einer Pauschalprämie. Das Land Niedersachsen hat, wie bereits im Vorjahr, auch für das Jahr 2024 die Mittel für den Herdenschutz sowie Zahlungen von Billigkeitsleistungen aufgestockt. rd. 7,5 Mio. Euro stehen zur Verfügung.
Aus Sicht des Landestierschutzverbandes Niedersachsen wäre aber zu prüfen, ob anstatt einer monetären Förderung die Bereitstellung der Leistung „Zaunbau“ in Betracht käme. Durch den Abschluss eines Rahmenvertrages zwischen dem Land und einem im Zaunbau kundigen Unternehmen könnten vergünstigte Konditionen an die einzelnen Tierhaltenden weitergegeben und ein Zaunbau entsprechend bereits vorliegender Empfehlungen, beispielsweise des Bundesamtes für Naturschutz oder des LAVES (Tierschutzleitlinien für die Schafhaltung), zur wolfsabweisenden Sicherstellung des Herdenschutzes verbindlich zur Ausführung kommen.
In Niedersachsen wird unter Zugrundelegung der Beschlussfassung der Umweltministerkonferenz vom 01.12.2023 künftig ein schnellerer Abschuss von Wölfen erlaubt sein. Für die konkrete Umsetzung gibt es zwei Wege: Im Einzelfall kann jetzt schon in Gebieten mit erhöhten Überwindungen von Herdenschutzmaßnahmen ein Schnellabschuss angeordnet werden. Kriterien zur generellen Festlegung dieser Gebiete mit erhöhtem Rissaufkommen sollen in einer Verordnung festgeschrieben werden, die schon im Sommer in Kraft treten soll. Danach wäre es möglich, nach einer einmaligen Überwindung des zumutbaren Herdenschutzes ohne DNA-Probe eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen zur Entnahme eines Problemwolfes zu erteilen.
In diesem Zusammenhang wird durch den Landestierschutzverband Niedersachsen, im Rahmen der Verbandsbeteiligung, ein erhöhtes Augenmerk auf die Auslegung/Definition der Begriffe „Gebiete mit erhöhtem Rissaufkommen“, „Grundschutz“ und „zumutbarer Herdenschutz“ zu legen sein. Ein guter Herdenschutz ist eine der wirksamsten Maßnahme für ein konfliktarmes Nebeneinander von Weidehaltung und Wolf. Die Anordnung zur Tötung eines Wolfes muss die Ausnahme bleiben und an feste Regularien und Voraussetzungen geknüpft werden.
Entsprechend der Hintergrundinformation zur Beschlussfassung zur Änderung des Praxis Leitfadens Wolf der Umweltministerkonferenz sind Gebiete mit erhöhtem Rissvorkommen als räumlich abgegrenzte Bereiche definiert, in denen ein signifikant erhöhtes Rissvorkommen auf mindestens mit Grundschutz geschützte Tiere nachgewiesen sind. Nach Auswertung der Nutztierschäden der vergangenen Jahre hat das Wolfsbüro festgestellt, dass eine viermalige Überwindung des Grundschutzes innerhalb von neun Monaten bzw. dreimalige Überwindung innerhalb von sechs Monaten ein erhöhtes Nutztierrissvorkommen darstellt.
Für den Landestierschutzverband Niedersachsen bleibt es abzuwarten, ob es „Gebiete mit erhöhtem Rissvorkommen“ tatsächlich geben wird, da ein erhöhtes Rissaufkommen immer dort zu beobachten ist, wo Weidetiere nicht ausreichend geschützt sind. Nach dem Wolfsmonitoring der Landesjägerschaft hat es über die Jahre hinweg eine Zunahme bei Nutztierrissen mit überwundenem Grundschutz gegeben (rd. 20% der Risse); gleichzeitig hat aber der Anteil an nicht vorhandenem Grundschutz zugenommen. Aus diesem Grund liegt der Anteil von Nutztierrissen bei nicht vorhandenen bzw. beeinträchtigten Grundschutz immer noch bei rd. 50%.
Im Rahmen des Dialogforums wurde aus diesem Grund auch ausgeführt, dass bei künftigen Rissvorfällen eine genauere Überprüfung bzw. Bewertung der Zäune durch die Landwirtschaftskammer und das Wolfsbüro erfolgen wird. Immerhin bildet die Feststellung, ob ein Grundschutz gegeben war oder nicht, nunmehr die Grundlage für die Entscheidung über den Abschuss von Wölfen, welche im Sinne aller Beteiligten absolut rechtssicher sein sollte. Bislang war die Qualität des Herdenschutzes lediglich Grundlage für Billigkeitsleistungen.
Hintergründe
Entsprechend der Beschlussfassung der Umweltministerkonferenz vom 01.12.2023 kann in Gebieten mit überdurchschnittlichen Wolfangriffen auf gut geschützte Nutztiere ein Abschuss für 21 Tage im Abstand von 1000 Metern um die konkrete Weide ohne Abwarten einer DNA-Probe erlaubt werden. Die EU-Kommission und der Bund hatten dieses Vorgehen schriftlich für rechtmäßig und vereinbar mit der FFH-Richtlinie erklärt.
Deutschland ist gemäß der FFH-Richtlinie dazu verpflichtet, Wölfe zu schützen sowie deren Lebensräume zu sichern, um einen günstigen Erhaltungszustand der Art zu gewährleisten. Im letzten Nationalen FFH-Bericht von 2019, der sich auf den Berichtszeitraum 2013-2018 bezieht, wurde der Erhaltungszustand des Wolfs in Deutschland sowohl für die kontinentale als auch atlantische Region mit „ungünstig-schlecht“ bewertet.
Im Dezember 2023 schlug die EU-Kommission unter Leitung von Ursula von der Leyen (CDU) dem Rat der Europäischen Union vor, den nationalen Schutzstatus des Wolfes von „streng geschützt“ auf „geschützt“ (würde sogar eine Bejagung erlauben) abzusenken, da nach der Sichtung der Zahlen, die u.a. aus Niedersachsen übermittelt wurden, von einem günstigen Erhaltungszustand ausgegangen werden könne. Sollten der Europäische Rat und letztlich auch der Ständige Ausschuss der Berner Konvention einer Herabstufung des Schutzstatus zustimmen, könnte die Kommission dann eine Anpassung des Schutzstatus des Wolfes in der EU vorschlagen.
Der Landestierschutzverband Niedersachsen e.V. ist die größte Tierschutzorganisation in Niedersachsen und vertritt die Interessen von 84 Mitgliedsvereinen, in denen über 24.500 Tierschützer*Innen organisiert sind.